VERANTWORTUNG

Das Thema Verantwortung ist so eine Sache. Es gibt auf der einen Seite das Gefühl: „Sich verantwortlich fühlen“ und auf der anderen Seite gibt es da dieses: „Man ist ganz einfach dafür mit verantwortlich“. Das verrückte dabei – die Grenzen verschwimmen hier recht schnell. Sehr häufig haben wir von aussen betrachtet das Gefühl: Der, oder die, ist dafür verantwortlich, dass hier was mächtig in die Hose gegangen ist, oder sogar richtig zur Katastrophe geführt hat. Seltener kommen wir wohl in die Situation – zumindest „offen“ gesprochen zu sagen: „ja, ich habe mich dafür verantwortlich gefühlt, habe eine Entscheidung gefällt und die war richtig kacke“ – simpel gesagt: es hat Dinge nach sich gezogen, die ich nicht abgesehen habe. Die ich vielleicht auch gar nicht absehen konnte, weil sie meinen Wissenshorizont, meinen Vermutungs- und Gefühlshorizont, zu diesem Zeitpunkt, bei weitem überschritten haben.

Somit stellt sich für mich am Ende die Frage: Macht es überhaupt Sinn, dass jemand „allein Verantwortung“ hat? Denn kann ein einzelner Mensch immer alle Folgen einer Entscheidung absehen? Vermutlich nicht. Können wenige – immer im Horizont beschränkte Menschen, weitreichende Entscheidungen für eine Vielzahl treffen? Hmmmm. Nach dieser – zugegeben recht runter gebrochenen Feststellung – eher schwierig.

Aber mal konkreter: Jemand in deinem Umfeld, den du glaubst zu kennen, hat Schwierigkeiten – und du fühlst (und das ist kein ganz unwichtiger Faktor) dich danach, als könntest du da helfen und tust es ganz einfach, klar der „guten Überzeugung nach“ jemanden etwas gutes tun zu wollen. Im Laufe der Zeit stellt sich aber raus: Ups, leider war das eher eine Fehlentscheidung – oder bzw. die Dinge entwicklen sich so ganz anders, als du es dir in der Sekunde der „Hilfsentscheidung“ (immer ausgehend von deinem eigenen Wissens- und Wahrnehmungshorizont) so ausgemalt hattest. Und das ist ja kein stundenlanger Tagtraum – sondern meist eine Sekundenenscheidung. Irgendwie aus dem Bauch raus. Vielleicht auch ein rausgehauener Rat(schlag). Und nun wendet sich das Blatt – gefühlt – gegen dich – sprich, du hast mehr Stress am Hacken, als je zu vor und wolltest eigentlich ja nur jemandem Helfen. Was also tun? Niemals wieder helfen? Niemals mehr Verantwortung übernehmen? Das kann auch nicht die Lösung sein. Die Frage ist hier: Wie grenze ich mich zu Geschehnissen ab, die ich nicht beeinflussen kann, wie offen gehen wir insgesamt mit Dingen um, die einfach auch in Eigenverantwortung von jedem von uns liegen und wie klar bin ich mir selbst in dem Thema Verantwortung? Bin ich mir dessen überhaupt klar? Und wie nehme ich diese Rolle ein? Auf Augenhöhe? Oder stelle ich mich über mein Gegenüber? Nehme ich komplett ab, oder leite ich sanft in die Kraft? Mache ich es für jemanden oder für mich? Helfe ich jemand anderen wirklich, oder versuche ich in erster Linie mir zu helfen?

Bin ich mir im Klaren darüber, dass ich – SOBALD ich mich in das Leben eines anderen Menschen einmische – ich „Ratschläge“ gebe, ich „Dinge“ für jemand anderes entscheide, oder zu Entscheidungen rate, im klaren darüber: Ich übernehme, oder versuche gerade für jemand anderen Verantwortung zu übernehmen. Und gleichzeitig BIN ich es aber auch. Und auch wieder nicht. Natürlich ist jeder auch für sich selbst verantwortlich – aber in dem Moment, wo Machtverhältnisse wirken, wo Kompetenzen „überwiegen“, oder bereits „gefühlte“ Unterschiede herrschen (und da wird’s wirklich wirklich komplex!)  – bin ich es einfach. Zumindest solange das System sich so verhält, wie es sich eben gerade verhält. Und somit ebenfalls für die möglichen Auswirkungen.

Ich behaupte jetzt aber mal ganz frech: Soviel Verantwortung für eine Person – ist zu viel. Wie soll es Möglich sein, dass ein Mensch in der Lage seie, sich in alle möglichen Möglichkeiten die passieren können, alle Befindlichkeiten und Reaktionen absehend, die von einer Person oder auch mehreren  Personen ausgehen können, auf Grund einer Entscheidung, oder etwas gesagtem, exakt einschätzen zu können. Nicht machbar.

Gleichsam aber zu sagen: Ja. Klar. Ist eben jeder für sich Verantwortlich – bei gleichzeitigen Strukturen die größtenteils auf einer Verantwortungsabgabe-Basis beruhen – Ja. Eher schwierig.

Wie wir sehen – eine ganz schön vertrackte Situation. So oder so – man kann es fast nicht „richtig“ machen. Aber man kann auch nicht immer nur sagen: Dumm gelaufen.

Wäre es daher nicht viel sinniger, die Eigenverantwortung zu schulen und vor allem die „Gemeinverantwortung“? Wobei die Gemeinverantwortung eben nicht an einer Person oder wenigen dafür auserwählten gemessen wird, sondern nach Machbarkeit verteilt wird. Und besser noch, nach Kompetenz. Also wahrer Kompetenz. Führen = Tragen = Voran gehen = andere Ermächtigen, wie Sehen, fühlen und verstehen. Wie gleichzeitig Selbstführung lehren – am besten nach den eigenen Potentialen.

Hier liegt allerdings die Krux. Die „Machbarkeit“ beinhaltet natürlich die ganz ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Kompetenz. Der ganz ehrlichen, authentischen eigentlichen Kompetenz. Wie viel Verantwortung (inkl. Auswirkungen!!!) kann ich alleine tragen – und bin ich auch gewillt allein zu tragen. Es beinhaltet nebenbei sicher auch noch, sich nicht in immer in einer „Blase“ von Gleichentscheidenden, Gleich-Wahrnehmenden (ähnlich sozialisierten) zu befinden. Sondern zu zu lassen, dass sich Menschen melden, die ganz anders entscheiden würden. Aber kommt man dann jemals zu einem konkreten Ergebnis? Gute Frage. Ich denke schon. In dem Moment, wo man sich in dem Umfeld bewegt, dessen Wirkungskreis man als einigermaßen „Bekannt“ ausmachen kann. In dem man vor allem erstmal betrachtet, was konkret vor einem liegt. Das nähere Umfeld und der Wirkungskreis, auf den sich die Verantwortung bezieht. Diesen, so überschaubar wie möglich zu gestalten. Und, in dem man die Menschen, für die Entscheidungen in größerem Rahmen zu treffen sind – mit einbezieht. Und zwar auf Augenhöhe. In dem man allerdings auch dafür sorgt, dass diese Augenhöhe gewahrt bleibt. Sprich: grundsätzlich dafür sorgt, dass Menschen für sich in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. Das Rahmenbedingungen herrschen, in denen Menschen vernachlässigte Eigen- wie Fremdverantwortung durch Weiterentwicklung verändern können – dies nicht „aller Tage Abend“ sein darf – sondern eher eine Stufe zur Nächsten. Ein reines Lernelement. Rahmenbedingungen, die dies aber nach und nach zur Ausnahme werden lassen. Das Verantwortung eben auch Fürsorge bedeutet. Nachhaltig. In der Gemeinschaft, wie für sich selbst. Das es aber bedeutet, dass man jeder Zeit auch in die Lage kommen kann, diese Verantwortung nicht mehr für sich übernehmen zu können und dann dort Menschen sind, die bereit sind, diese zu übernehmen. Diese übernehmen können, weil sie nun wissen, wie es geht. Und weil sie niemals damit alleine sind. Und auch nicht mehr sein werden.

Lernen hier bedeutet: Ein „Nobody is perfect“ Zustand, aus dem man sich raus bewegen kann – kein Wertverlust als Mensch – sondern lediglich ein zeitbedingter Zustand, in dem sich jeder irgendwann, irgendwo mal befindet – in dem ich lernen darf.
Auch zu wissen was ich nicht kann. Was aber ebenfalls meinen Wert nicht mindert. Sicherlich bedeutet es auch, klare Grenzen zu setzten. Können diese für alle gleich gesetzt werden? Schwierig. Was für die Eine „völlig in Ordnung“ ist – überschreitet die Grenze einer Anderen in Sekunden. Wer hat nun Recht? Ich sage: Beide und niemand.

Beide in ihrer Eigenverantwortung. Und beide in ihrer Fremdverantwortung. Überschreite ich die Grenze eines Menschen, liegt es einerseits in dessen Verantwortung (ideal gesponnen) mir diese auf zu zeigen und in meiner, dies entsprechend zu respektieren (Fremdverantwortung). Nur funktioniert dies meist nicht so ideal in der Praxis, wie hier theoretisch gesponnen. Denn viele Menschen überschreiten Tag täglich bereits ihre eigenen Grenzen – weil sie diese nie so richtig kennen, spüren und lieben gelernt haben. Umgekehrt, überschreiten wir alle auch Tag täglich sicher Grenzen von Anderen und merken es nicht einmal ansatzweise. Ebenso die Grenzen in der Natur.

Weil wir das Gespür für die Wahrnehmung der Meta-Signale von Grenzen Anderer, oder auch natürlicher Grenzen durch das Überschreiten der eigenen Grenzen völlig verloren haben. So sehr wir die Grenzen in uns selbst ignorieren – so sehr überschreiten wir sie bei Andern. Und manches mal passiert es sogar auch in der größten Achtsamkeit. Sehr häufig unbewusst = nicht bewusst beabsichtigt. Unbewusst bedeutet aber nicht immer zwingend komplett unbeabsichtigt. Es zeigt häufig nur, was noch gelernt und geheilt werden will. Es zeigt, welche Perspektive uns fehlt.

Wer trägt also die Verantwortung? Und wie können wir diese gemeinsam gesund gestalten? Wie kommen wir raus aus dem Drama oder der Ignoranz?

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